Freiheit, Feiern, Freisinn

Einblicke in die politische Kultur der Kleinstadt Laufen um 1900

Als Hauptort des Bezirks stand Laufen seit jeher im Brennpunkt politischer Auseinandersetzungen. Im 19. Jahrhundert spitzten sich hier die Parteikämpfe besonders heftig zu und dominierten den öffentlichen Raum sichtbar.

Der 11. November ist der Tag des heiligen Martins, des Schutzpatrons der gleichnamigen Pfarrei Laufen. 1894 allerdings war in der Stadt kein Martinsbrauch, sondern eine politische Manifestation besonderer Art zu beobachten. In der Mitte des Rathausplatzes war ein enormer Freiheitsbaum aufgepflanzt. Ringsum gruppiert eine Handvoll Männer mit Hut und Bart, im Hintergrund Frauen, Kinder, Zuschauer. Sie posierten für die Kamera des Delsberger Photographen Enard. Dessen Auftrag war einfach: Er sollte den sichtbaren Triumph der liberalen Partei Laufens auf die Platte bannen. Am 4. November hatten nämlich die Schweizer Stimmbürger in einer eidgenössischen Abstimmung die sogenannte „Beutezugsinitiative“ mit grossem Mehr abgelehnt. Damit hätte den Kantonen ein Teil der Zolleinnahmen des Bundes zugesprochen, der Ausbau der Bundesverwaltung und -macht gebremst werden sollen. Unterstützt wurde dieser Vorstoss gesamtschweizerisch nur von der katholisch-konservativen Volkspartei. Die liberalen Kräfte bekämpften ihn hingegen. Die freisinnigen Vereinigungen der Bezirke Laufen, Dorneck-Thierstein und Arlesheim hatten sich Ende Oktober in Grellingen gar zu einem interkantonalen Vorbereitungstreffen versammelt.

 

Eine liberale Tradition

 

Grund genug zum Feiern. Doch weshalb ausgerechnet mit einem Freiheitsbaum? Seine Wurzeln besass der schweizerische Freiheitsbaum in dem frühneuzeitlichen Brauch, auf den ersten Maitag hin eine entästete Tanne aufzustellen, als Ehrenzeichen vor den Häusern unverheirateter Mädchen. Unter dem Einfluss der französischen Revolution wandelte sich aber seine Bedeutung, vom Symbol sozialer Kritik bis hin zum nationalen Gefolgschaftssymbol der neuen bürgerlichen Regierungen. Im demokratischen 19. Jahrhundert tauchte der Freiheitsbaum dann wieder zur Zeit der Regeneration auf, an Schützenfesten liberaler Vereine und nach dem Sonderbundskrieg 1847. In dieser Tradition liberaler Symbolik stand offensichtlich auch der Freiheitsbaum in Laufen. Das beweist der wiederholte Versuch der konservativen Opposition, diese Siegessäule umzulegen. Allerdings ohne Erfolg, denn der Baum war bis weit hinauf mit Blech verkleidet und wurde nachts bewacht.

 

Symbol mit Vorgeschichte

 

Was die Photographie Enards allerdings nicht verrät, ist, dass knapp 60 Jahre zuvor in Laufen schon einmal ein Freiheitsbaum gestanden hatte – in einem ganz anderen Zusammenhang. Im Winter 1836 stimmte der Grosse Rat zu Bern den sogenannten Badener Artikeln zu, einer Vereinbarung der Bistumskantone. Darin wurden dem Staat verstärkt Rechte eingeräumt gegenüber der katholischen Kirche, etwa bei der Bewilligung von Erlassen oder bei der Ausbildung von Priestern. Schon wenige Tage nach diesem Entscheid konnte man im gesamten Nordjura dasselbe Schauspiel beobachten: Männer und Frauen zogen in Scharen vor die Dorfkirchen, pflanzten dort einen mit Bändern und Schrifttafeln geschmückten Baum und liessen die Glocken läuten. Gebete und Gesänge umrahmten die Zeremonie, auf den Tafeln waren Hochrufe auf die katholische Religion, den Papst und die Pfarrherren zu lesen. In Laufen dürfte es in den ersten Märztagen 1836 ähnlich zugegangen sein. Vorboten einer Revolution? Ausdrücklich verneinten die Beteiligten überall eine politische Absicht; es handle sich nicht um einen revolutionären, sondern um einen religiösen Freiheitsbaum. Man wolle nur die religiösen Rechte retten, unterstelle sich aber ansonsten ganz der staatlichen Souveränität. Doch trotz aller rhetorischer Vorsicht, für die liberalen Behörden waren diese Freiheitsbäume ein deutliches Mahnzeichen. Aus Furcht vor einer Ausweitung der Bewegung entsandte die Regierung kurzentschlossen Truppen in jene Dörfer, wo zusätzlich noch separatistische Symbole (französische Fahnen) und Reden aufgetaucht waren.

 

Inszenierung einer Partei

 

Der Laufner Freiheitsbaum von 1836 stand also am Anfang eines Konflikts zwischen konservativ-katholischem Bevölkerungsteil und liberaler Regierung, der das Tal noch bis ins 20. Jahrhundert hinein polarisieren sollte. Deshalb war es kaum ein Zufall, dass 1894 wieder ein Freiheitsbaum aufgestellt wurde. Die Photographie von Enard verrät nämlich, wie hier ein historisches Symbol mit neuer Bedeutung versehen wurde. Schon der Schauplatz der Feier war vielsagend. Der Freiheitsbaum stand auf dem Platz vor dem Rathaus, vor dessen Arkaden sich die Versammelten aufreihten. Hier lag die politische Machtzentrale der Stadt, das säkulare Pendant zur Kirche am gegenüberliegenden Ende der Hauptstrasse – dort wo wahrscheinlich 1836 der Freiheitsbaum gestanden hatte. Die ca. 20 m hohe Tanne überragte Dächer, Mauern und gar den Torturm, dominierte den Raum bis weit über die Stadt hinaus. Auffallend auch die Verzierung des Freiheitsbaums: Sie fehlte nämlich völlig und statt Spruchbändern, Schleifen oder Freiheitshüten prangte zuoberst eine Schweizerfahne. Als höchstes Prinzip der Bundesstaat, schien sie zu sagen: Eine Anspielung auf die besiegten föderalistischen Initianten, möglicherweise aber auch auf den Partikularismus der jurassischen Konservativen? Wie auf dem Schlachtfeld posierte um dieses Banner herum die Prominenz des Laufner Freisinns. Im Halbkreis dahinter die Gefolgsleute, die (wahrscheinlich freisinnige) Musikgesellschaft und die Zuschauer. Auch die Präsenz der Musik war kaum zufällig, sie gehörte zur Inszenierung des politischen Feldzuges. Alles in allem also ein Bild voller symbolischer Bedeutungen, welches der Photograph hier festgehalten hat. Die sichtbaren Zeichen verweisen – über ihre konkrete Bedeutung hinaus – auf die politische (Kampf)Kultur, welche die Auseinandersetzungen in Laufen Ende des 19. Jahrhunderts prägten. Denn der Baum war nur ein Beispiel dafür, wie dabei der öffentliche Raum der Kleinstadt augenfällig mit parteipolitischen Markierungen besetzt wurde.

 

Elemente politischer Kultur

 

Gedenkfeiern etwa waren beliebte Gelegenheiten zu (partei)politischer Manifestation. 1881 wurde am 1. August in Laufen eine grosse Verfassungsfeier zelebriert, zur Erinnerung an die „Volkserhebungen“ von 1831 und 1846. Unter den Rednern befand sich vor allem freisinnige Lokalprominenz, etwa der Gross- und Nationalrat Niklaus Kaiser oder der Regierungsstatthalter Federspiel. Nicht wegzudenken aus dem öffentlichen Leben waren auch Fahnen, die Embleme der zahlreichen Vereine aus den Bereichen Sport, Kirche, Militär, Kultur. Oft tendierten diese zu der einen oder der anderen Partei; in Laufen gab es etliche Doppelvereine, zum Beispiel einen liberalen und einen konservativen Musikverein, Turnverein, Männerchor etc. Ebenso gespalten war die Presseöffentlichkeit: Zwischen dem liberalen Parteiorgan „Birsbote“ und dem „Birstaler“, Sprachrohr der Konservativen, herrschte ein unversöhnlicher Kampf. Selbst Wirtshäuser waren parteipolitisch besetzt. Den Gasthof zum Rössli betrat wohl kein papsttreuer Katholik, und die Liberalen mieden ihrerseits das „Lamm“.

 

Bastion der Freiheit

 

Freiheitsbäume waren im ausgehenden 19. Jahrhundert generell ein seltenes Requisit politischer Manifestationen geworden. Dass in Laufen 1894 ein solcher wieder auftauchte, dafür gab es auch einen konkreten lokalpolitischen Anlass. Die Kleinstadt Laufen beherbergte nämlich als Hauptort die Bezirksverwaltung, das heisst vor allem den Regierungsstatthalter. Seit 1831 war dieser vom Regierungsrat ernannt worden und war folglich immer loyaler und liberaler Gesinnung gewesen. Durch die neue Kantonsverfassung von 1893 war die Wahlkompetenz ganz an die Bevölkerung übergegangen. Und prompt hatten die Stimmbürger am 15. Juli 1894 den Notar Albin Cueni, einen konservativen Vertreter, gewählt – ein Stachel im Fleisch der mehrheitlich freisinnigen Stadtbevölkerung. War der Freiheitsbaum also eine Warngeste vor einem befürchteten Aufschwung der Konservativen? Laufen war die Hochburg der Liberalen im Bezirk – die umliegenden Dörfer wählten aber meist konservativ. Deshalb kann man das Setzen diese Freiheitsbaumes auch als symbolische Besetzung des Raumes verstehen, als Hissen der Flagge in einer umkämpften freisinnigen Festung.

 

Freiheit für wen?

 

Das Bild des Photographen Enard ist ein Glücksfall für die Nachwelt. Denn die politische Kultur des Laufentals im 19. Jahrhundert ist in Schriftquellen nur unzureichend dokumentiert. Und wieviel anschaulicher als die Lektüre von Protokollen, Zeitungen oder Gesetzen führt ein solches Bild vor Augen, wie in der damaligen politischen Kultur die Rollen verteilt waren: Im Zentrum die Männer, Frauen und Kinder als Statisten.