Memory

Begegnung mit Elisabeth S., geboren 1910. Installation und Edition

Die Installation und Edition von Sabine Hagmann und Daniel Hagmann fand im Spielzeugmuseum, Dorf- und Rebbaumuseum Riehen vom 11. März 1999 bis 28. März 1999 statt.

 

Eine Künstlerin und ein Historiker befragen ihre Grossmutter. Die Erinnerungen einer alten Frau treffen auf Bilder, die sich andere von ihr machen. Alte Gewissheiten werden mit Erzähltem konfrontiert. Gegenstände und Bilder tragen vieldeutige Spuren. Die Begegnung mit den Erinnerungen von Elisabeth S. zeigt nicht nur das vergangene Leben als Frau, an der Grenze. In Fotografien, in Geschichten und im Dialog wird der Weg des Erinnerns selbst nachvollziehbar.

 

Spuren und Fragmente. Entstehung einer Biographie

 

Erinnern… Schulkind. Hutträgerin. Mieterin. Witwe. Reisende. Freundin. Kommunistin. Verkäuferin. Tochter. Emanze. Nachbarin. Passagierin. Mutter. Bittstellerin. Seniorin. Kirchgängerin. Patientin. Händlerin. Hausfrau. Kunstliebhaberin. Grossmutter. Am Ende des 20. Jahrhunderts blickt eine Frau zurück auf ihr Leben, erinnert sich an Geschichten und Gesichter. Seit über 87 Jahren lebt Elisabeth S. hier am Rande der Schweiz, nah der Grenze zu Deutschland. Noch immer ist sie in Bewegung, selten einmal zuhause anzutreffen. Doch mit dem Alter wird die äussere Welt immer kleiner. Freundinnen sterben, das Haus wird eingetauscht gegen eine kleine Wohnung, die Landschaften der Jugend sind verbaut. Was übrig bleibt, sind Bilder, chiffrierte Fragmente vergangenen Lebens, Wegweiser in die eigene Geschichte und Selbstinszenierungen.

 

Fremdbilder… Auch ihre Bekannten tragen ein eigenes Bild von ihr im Kopf. Man glaubt sie zu kennen, als Gewebe von erzählter Erinnerung und selbst erfahrener Wirklichkeit. Antimilitaristin war sie, Tochter eines deutschen Eisenbähnlers, eine grosse Wandererin und Kunstliebhaberin; da war auch ihr Mann, die Verwandten im bernischen Burgermilieu und die Bekanntschaften mit avantgardistischen Architekten und Künstlern – und da war noch viel mehr.

 

Entdeckungen… Sabine Hagmann und Daniel Hagmann machen sich auf, ihre Grossmutter Elisabeth S. kennenzulernen. Im Gespräch mit ihr entdecken sie unbekannte Seiten dieser Frau, sie befragen ihre eigenen Bilder und Erinnerungen und tragen alte und neue Geschichten zusammen. So ist das Porträt eines Frauenlebens entstanden, ein lautes Nachdenken über biographische Freiheiten und Zwänge im Laufe dieses Jahrhunderts. Sichtbar wird die Möglichkeit der Erinnerung: das geheime Band zwischen materiellen Spuren und darin lesbaren Geschichten, die Tiefe von privaten und gemeinsamen Bildern.

 

Reflexionen… Erinnern ist mehr als Geschichten abspulen. Im Zwischenraum der Worte entstehen Bilder, aus Photographien wachsen Erzählungen, Assoziationen und Gefühle. Die Arbeit am Porträt wirft Fragen auf: wie werden Geschichten zu Geschichte? Wo treffen sich Bild und Sprache?

 

Anlässe… Daniel und Sabine Hagmann begegnen ihrer Grossmutter mit den neugierigen Augen und Ohren erwachsener Enkelkinder, nah und doch durch Lebensjahrzehnte getrennt. Daniel Hagmann ist Historiker; er beschäftigt sich in seinen Forschungsprojekten mit lebensgeschichtlichen Erfahrungen einfacher Menschen. Als Ausstellungsmacher und Publizist sucht er nach möglichen Formen der Vermittlung von Geschichte und Geschichten. Sabine Hagmann ist Photographin und Filmschaffende; sie interessiert sich für das Verhältnis von Bild und Mensch, für die Grenzen und Chancen der Photographie.

 

Bilder lesen. Ausstellung und Edition

 

Wie kann man einen Menschen porträtieren, wie lässt sich eine Biographie dokumentieren, wie der überraschende und verschlungene Weg der Erinnerung? Das Projekt „Memory. Begegnung mit Elisabeth S., geboren 1910“ besteht aus zwei Teilen:

  • einer Bild-Text-Ton-Ausstellung. Sie soll die BetrachterInnen einbeziehen in die Erinnerungsarbeit, die Spurensuche re-inszenieren
  • einer Edition in Form von Bild-Text-Postkarten. Sie trägt den Umgang mit einer fremden Biographie hinüber in den eigenen Alltag .

Zur Ausstellung

 

Drei ergänzende Wege und Medien werden angeboten:

  • ein Bildteppich aus alten und neuen Fotografien: historische Aufnahmen, die der Fotografin Sabine Hagmann eigenen Erinnerungsbilder, Bilder von der Erinnerungsarbeit Elisabeth S., Bilder von Erinnerungsspuren (Objekten, Situationen, Personen)
  • eine Hörstation: Ausschnitte aus den Gesprächen mit Elisabeth S. Hörbar wird hinter und neben den einzelnen Geschichten der Prozess des Erinnerns: Schweigen, Missverständnisse, Gedankensprünge, Fragen.
  • eine Sammlung von Kurztexten auf Karteikarten: Originalzitate aus den Gesprächen, eigene Erinnerungen und Gedanken. Biographische Aspekte wie Frauenrollen/Grenzlage/Kulturelle Interessen werden dokumentiert. Greifbar wird auch der Prozess des Ordnens und Verstehens.

 

Zur Edition

 

Sie besteht aus Sets von je 20 Postkarten, welche eine Auswahl der Fotos und Texte aus der Ausstellung enthalten. Die Masse der vorgeführten und möglichen Bilder und Texte wird reduziert auf einzelne Fragmente: nicht Dokumentation einer Biographie ist das Ziel, sondern der Anstoss, die Assoziation. Seit Jahrzehnten verschickt Elisabeth S. aus den Ferien oder anlässlich von Festtagen Postkarten. Was als Mitteilung abgeschickt wird, kommt als Souvenir an. Die Postkarte ist Medium und Objekt der Erinnerung zugleich, ist privat und öffentlich.