Histoires de chasse

Vom Jagen in Frankreich

Chasse gardée (Berühren verboten)

In diesem Land wachsen die Schilder an Bäumen und Pfosten, weisse Schrift auf rotem Grund, und warnen vor Übergriffen. Mein ist das Wild, solches oder jenes, hemme deine Triebe. Im abendlichen Stau verlässt der Wagen nur zögernd die Stadt, es bleibt dem Lenkenden genügend Zeit zum Schauen: Wie dort auf dem Trottoir unter den Platanen auf den Zehenspitzen eine Frau zu einem Mann emporwächst, ihm entgegen, ihm, nur ihm. Hochzeit der Oberflächen, gegenseitige Druckstellen, Entgrenzung ganz privat. Wie das schmerzen kann.

Le canard (Jägers Lust)

Fast hätte ich sie übersehen. Vor mir lief sie, dorfauswärts, auf dem rissigen Asphaltstreifen, unmerklich schwankend, links, rechts, folgt der Rumpf den Schuhen, dem Drang nach Hause. Grauer Schatten mit karierter Umhängetasche, jungfernähnlich. Wären da nicht ihre unbestrumpften Waden unter dem Baumwollrock gewesen, so fest, so muskulös, versprachen Umklammerungen, nackt, wir zwei? Es zuckte ihr Blick, über die Schulter schief, ungeschickt wich sie zur Seite, im Schlagloch kam ich zur Besinnung.

Au petit matin (Reviergänge)

Milchige Horizonte drücken auf die Hügel, man kommt besser nicht ins Schwitzen jetzt, es gibt wenig Aussicht auf Besserung, entschuldigt sich der Nachrichtensprecher beim Frühstück, und so zieht sich das Land in die Breite wie entlaufender Teig. Mir genügt diese Stille und gerührt betrachte ich die näher kommende Gestalt, die lautlos durch die Wiesen streift. Trotz Tarnhose und hellblauer Parka beugt sich der Mann seinem Alter, das Gewehr entpuppt sich als Gehhilfe. Er hätte ja auch den Feldweg wählen können. Der hat keine Zeit zu verlieren, im Gehen mustert er jeden Grashalm und jeden Baum am Waldrand, seid ihr noch da, meine Schätze, wie wollt ihr mich überleben. Ich widme den Liebenden einen letzten Blick voller Sympathie, noch liegt der ganze Tag vor mir und Erben brauche ich nicht zu fürchten.

Proie facile (Im Visier)

Warum immer gleich das Schlimmste annehmen? Kein Unfall, keine Gefahr, kein Ärger, nur zwei Autos am Strassenrand fern jeglicher materieller Gründe zum Anhalten, orange Warnblinker an, Türen offen. Du näherst dich langsam, erkennst zwei Gestalten, junge Frauen, Freundinnen, vielleicht, jedenfalls freudig erregt im Gespräch, hübsch anzusehen die beiden. Auf der anderen Strassenseite fährt ein Winzer seinen Traktor durch die leeren Steckenalleen, hin und her, wie ein unschlüssiger Freier auf Brautschau. Du sagst dir, dass man ja wirklich nicht immer das Schlimmste annehmen muss: Vielleicht ist er auch bloss dem Wein verfallen und die Frauen haben zufällig dort angehalten.

Jamais le dimanche (Drüsenfieber)

Wenn die Hunde hechelnd aus den Hecken brechen, wenn Ho!-Rufe und Allez!-Schreie die Hänge hinabwogen, wenn der scharfe Dunst der Angst sich mit Khaki und Goldrot und Lehmbraun vermengt, wenn es klackt Ruckzuck und Hebel zurück und der polierte Schaft sich an die unrasierte Wange schmiegt, wenn sich Nüstern weiten und Pupillen verengen, wenn Kehlen trocken werden und intime Beugen feucht
– Sitzen die Gattinnen, zweihundert Schritte nur weg und doch Welten entfernt, versorgt mit folienumwickelten Broten und Thermoskannen und Illustrierten, dort beim Rastplatz/ Waldrand/ Strassenrand/ Liegestuhl
– Wo immer die Jäger sie vergessen haben.

Fin de saison (Volltreffer)

Stelle man sich vor: ein anhaltender Zustand der Leichtigkeit, spottend jeglicher Topografie (erklimme ich halbe Berge? murmle ich Bächen entlang ins Tal?). Glück nennen es die Wortstarken. Dazu zwei Fingerbreit Sonne aus dem unordentlichen Himmel – pfiffe man nicht, selber schuld. Der Acker entfernt sich rot leuchtend von der Strasse, bewacht von einem Jagdhund ausser Dienst, lange überlegt dieser und klar ist dann sein Entschluss, lohnt die Laute nicht, dieser flüchtige Zweibeiner. Dieselbe Gnade erweist einem kurz darauf die Herrin der Idylle (in der Kurve wartet ja ein verträumtes Haus mit angehäuften Versprechen); die alte Frau behält ihren Kurs konfrontativ bei, schiebt einen Karren ohne ersichtlichen Hintergedanken. Und sie lächelt, nur: Bonjour Monsieur, sie hätte auch sagen können, dass es endlich gut ist.

Faltblatt, Originalgrösse A4, illustriert
Text: Daniel Hagmann 2006
Gestaltung: Sylvia Pfeiffer, Formsache, Basel