Souvenir

Bildergeschichten. Eine Intervention im Regionalmuseum Laufental

Konzept

 

Das Regionalmuseum Laufental ist im Besitz des Nachlasses der Fotografenfamilie Schaltenbrand, welche über drei Generationen hinweg ein Fotogeschäft in Laufen unterhielt. Der Bestand umfasst Tausende von Fotografien, Negative und Abzüge, zum Teil sogar Glasplattennegative. Die frühesten Bilder stammen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, die letzten aus den 1970er-Jahren. Ab November 2001 macht das Museum Laufental einen Teil der Sammlung dem Publikum zugänglich. In einer Sonderausstellung werden Fotografien mit einem identifizierbaren historischen Thema gezeigt: Bilder von Festanlässen, Gebäuden oder berühmten Persönlichkeiten.

 

Der Grossteil der Sammlung besteht jedoch aus Personenporträts, welche als alltägliche Auftragsarbeiten entstanden sind: als Ausweisbilder, als Porträts anlässlich von Hochzeiten oder Geburtstagen etc. Die abgebildeten Personen sind nur noch zum Teil namentlich bekannt und identifizierbar. Diese Fotografien besassen einen hohen individuellen Erinnerungswert für die jeweils porträtierte Person und ihr Umfeld, welcher aber für Aussenstehende und heutige Betrachterinnen und Betrachter nicht mehr nachempfunden werden kann. Dadurch werden diese Bilder nicht wertlos. Sie bilden eine Erinnerungsmenge besonderer Art, die nicht wie die oben erwähnten Bilder von Gebäuden/Ereignissen mit dokumentarischem Blick erschlossen werden kann. Hier ist eine andere Betrachtungsweise notwendig, welche das Verhältnis von Foto und historischer Realität, die Spannung zwischen fixiertem Bildträger und offener Erinnerung thematisiert. Die künstlerische Intervention Souvenir ergänzt die dokumentarische Fotoausstellung des Museums Laufental um diese Sichtweise. Bild und Sprache treffen in ungewohnter Art aufeinander. Assoziationen werden ermöglicht, eigene Erinnerungsbilder geweckt. Die Gesichter aus einer fernen Welt behalten dabei ihre Würde und Unzugänglichkeit.

 

Souvenir thematisiert das Verhältnis zwischen dem unwiederbringbaren historischen Moment in seiner Individualität und dessen stereotypen Reproduktion und Vergegenwärtigung im Serienfoto. Ein eigener Gedächtnisraum entsteht, welcher in die bestehende Gedächtnisinstallation Museum hineingestellt wird und diese kommentiert. Es entsteht so ein Nebeneinander der nach Eindeutigkeit strebenden, benennenden Anlage musealer Erinnerung einerseits und der öffnenden, fragenden Form der künstlerischen Intervention. Das Medium Bild wie der Ort Museum werden als spezifische lieux de mémoire sichtbar.

 

Souvenir umfasst drei räumliche und thematische Elemente. Sie werden auf je unterschiedliche Weise in den Kontext des Museums gestellt und vermitteln je unterschiedliche Möglichkeiten des Umgangs mit Erinnern. Gezeigt werden ausschliesslich Personenporträts aus der Sammlung Schaltenbrand. Damit auch flüchtige BetrachterInnen die künstlerische Intervention Souvenir nicht als Fortsetzung der dokumentarischen Fotosausstellung des Museums missverstehen, werden die beiden Ausstellungen räumlich klar getrennt.

 

Fotografien

 

Andreas Frick zeigt zwei Serien immer gleich inszenierter Porträts von Erstkommunikanten und -kommunikantinnen. Diese Porträts wurden als Postkarten hergestellt. In der Reihung verliert der dargestellte Moment seine Einzigartigkeit, welche er für die abgebildete Person besass. In der ländlichen katholischen Gesellschaft des Laufentals stellte das Sakrament der Erstkommunion einen wichtigen sozialen Akt dar, welcher für die Mädchen und Knaben entsprechende Bedeutung besass. Sichtbar wird dies nicht nur in der feierlichen Kleidung der Porträtierten – der Akt des vom Fotografen porträtiert Werdens selbst stellte in dieser Zeit (ca. 1950) noch eine seltene und deshalb prägende Erfahrung dar. Gleichzeitig vollzieht die hier inszenierte Reihung der schönsten Momente durch den Künstler den uniformen Aspekt des kollektiven Aspekts nach und verstärkt ihn. Diese Porträtserie wird im Ausstellungsraum Kirchliches des Museums Laufental auf zwei schmalen Tischen (je ca. 3×0,15m) platziert. Dieser Raum beinhaltet eine ständige Ausstellung von zwei grossen Weihnachtskrippen sowie mehreren Statuen und Zeugnissen der Volksfrömmigkeit. Durch die kommentarlos dazugestellte Fotoserie gewinnt der Raum eine Mehrdeutigkeit, museale Objekte und neue Bilder ergänzen sich nicht in gewohnter illustrativer Art, sondern fordern je eigene Wirklichkeiten.

 

Die zweite Inszenierung von Andreas Frick besteht aus einem ca. 6x2m grossen Leuchttisch voller Glasplattennegative, welcher in einer Höhe von ca. 20cm über dem Fussboden wie eine Art leuchtender, schwebender Bildteppich den Raum füllt und atmosphärisch auflädt. Ohne Zwischenraum, in ornamentaler rhythmischer Abfolge liegen Porträts nebeneinander. Es entsteht ein vom Künstler neu geordnetes Kräftefeld von Gesichtern und Geschichten, welches nicht mehr der einstigen Produktionslogik des Fotografen folgt, sondern den Zugriff des heutigen Betrachters widerspiegelt – frei von historischem/biographischem Hintergrundwissen zu den einzelnen Porträts, zurückgeworfen auf die eigenen Assoziationen und Erinnerungsbilder. Die Zerbrechlichkeit der Glasplatten, die Transparenz der Installation vermittelt ein Gefühl der Vergänglichkeit und der Feierlichkeit zugleich. Als Negative zeigen die Glasplatten eine Abstraktion der historischen Person, welche nur als Schatten wahrnehmbar wird und somit den Erinnerungsträger als Platzhalter und Medium spürbar macht. Der Leuchttisch wird in einem Raum des Museums platziert, welcher eine archäologische Sammlung aus der Römerzeit enthällt. Im verdunkelten Raum strahlt das durch die Bildnegative gefilterte und gestaltete Licht als einzige Lichtquelle auf die umgebenden Erinnerungsstücke aus. Inhaltlich besteht keine Beziehung zwischen den archäologischen Zeugnissen in den Vitrinen und den Glasplatten-Bildern; doch unwillkürlich wird die Gemeinsamkeit der Reste spürbar, die sowohl musealer Sammlung wie fotografischer Installation eigene Unzugänglichkeit und Rätselhaftigkeit.

 

Texte

 

Daniel Hagmann bringt auf spielerische Art fotografische Porträtbilder zum Sprechen. Jedes der gezeigten Fotos (Passbilder) ist ein Ausschnitt aus der Zeit ohne Vorher und Nachher, eine Momentaufnahme, welche nichts und alles Mögliche erzählt. Die historische Funktion des Bildes mag banal gewesen sein (Passbild) oder von hohem biographischem Wert (Vergissmeinnicht für Liebende oder Fortziehende) – im Auge des unwissenden Betrachters in der Gegenwart entsteht eine neue Bedeutung. Das einzelne Bild wird von Daniel Hagmann in einen Bilderrahmen mit Passepartout gesetzt und mit einem begleitenden Text versehen, erhält eine willkürlich erdachte Geschichte, story wie history zugleich. Der Bildtext erfindet eine Situation oder reflektiert den Moment des porträtiert Werdens. Ungefähr 15 solcher Porträts von Frauen und Männern aus den 1950er-/1960er-Jahren werden in verschiedenen Räumen des Museums zwischen die bestehenden Bilder gehängt. Dadurch werden sie selbst beinahe Teil der Sammlung. Der Gegensatz der Bildgeschichten, der irritierenden Legenden, zur knappen, scheinbar eindeutigen und selbstbezogenen Beschriftung der musealen Objekte macht die Intervention kenntlich.

 

Die künstlerische Intervention im Laufentaler Museum dauerte vom 11. November 2001 bis Juni 2002.