Aus der künstlerischen Intervention Souvenir (11. November 2001 bis Juni 2002, Laufentaler Museum).
Sie haben ja so viele, man kann ruhig die Hälfte oder mehr verbrennen, sie sehen sowieso fast alle gleich aus, wer kennt diese Gesichter noch, welchen Wert haben schon solche Fotos, davon habe ich zu Hause auch ganze Schachteln voll, wenn ich die alle aufbewahren wollte, aber bitte, vielleicht sind Sie da empfindlicher.
Auf einen solchen Moment der Ruhe hatte sie gehofft. Die Welt verstummte, da war nur noch ein kleiner tröstlicher Rahmen.
Und immer geht ihr Blick ins Leere, suchen ihre schwarzen Augen Halt in den Räumen dahinter, beschwichtigen ihre lächelnden Lippen die Angst vor der unabänderlichen Bindung.
Tausche: Meine Erinnerungen gegen dein Bild. Einen Bandwurm fader Nachmittage gegen eine Sekunde Lächeln. 30 Jahre Selbstmitleid und den ererbten Zweifel obendrein dafür, dass auch ich erstarren darf.
Am Ende des Tages wird das Licht im Zimmer milder. Bald ist es soweit. Endlich gibt es nichts mehr zu sehen. Jetzt erinnere ich mich wieder besser.
Erschreckt begriff er, dass er vielleicht gerade in diesem Moment von irgendwelchen Unbekannten angestarrt wurde.
Mit einem leicht verlegenen Lächeln gab sie ihm die Aufnahme zurück, schloss kurz die Augen und sagte dann, tut mir leid, ich erkenne Sie nicht wieder, er zögerte, blickte auf die matte Fläche des Bildes, wo die Abdrücke ihrer Finger noch glänzten, bevor er sein Gesicht abwandte und an ihr vorbei sprach, es sei auch schon lange her, er selbst könne sich nur an das Foto erinnern, mehr sei ihm nicht geblieben.
Als stündest du vor mir, es ist wieder Herbst, du lachst, wir gingen bis zum Ende des Schotterwegs, wo die Baugrube beginnt, dann erzählst du von deinen Plänen, ich staunte über deinen Mut, es muss ein Sonntag sein, du trägst die braunen Schuhe.
Heute tragen die Fotografien auf der Rückseite ein Verfalldatum. So weiss man genau, wann die Garantie erlischt, dass man auch sieht, was einst gemeint war.
Sie liebt mich. Sie verlacht mich. Maria verzeih mir. Hör auf mich anzustarren.Verschwinde endlich.
Reihenhäuser. Versicherungskarteien. Urnenwände. Bücherregale. Eisenbahnwaggons. Strandkabinen. Fotoalben.
Nur selten nahm sie die Fotografie aus der Schublade hervor. Dann betrachtete sie das Bild, als wollte sie sich alle Details einprägen, einige Minuten lang. Sie hätte kaum zu sagen gewusst, woran das Porträt sie erinnerte.
Und draussen roch es nach feuchtem Gras und ich dachte mein Gott noch nie war die Angst so gross bis du Nein sagtest.
Habe gelebt, gelitten, geliebt. Könnte viel erzählen.
Seitdem erlebt sie Ungeheuerliches. Zweifellos ist sie das, doch das Bild lügt, sie ist doch keine junge Frau mehr, wird sie denn nie älter, wenn sie jetzt jemand sähe.
Ich erinnere mich noch präzise an deinen schweren Atem, den Geruch nach Seife, diese geduldige Haltung, du hast dir danach sorgfältig die Nase geputzt.
Ein Moment. Hundert Kopien. Tausend Möglichkeiten. Keine Zeit
In zwei Wochen wird sie am Bahnhof stehen, viel zu früh, den Brief in der Tasche.
Anna. Hugo. Neyerlin. Geboren. Kurt. Carlos. Hat uns verlassen. Jolanda. Jeanneret. Für dich. Josef. Sonja. Cueni. Zum Gedenken. Rizzo. Schmidlin. Petra. Bewerbe mich hiermit. Borer. Giovanni. Wird heiraten. Marie. Frei. Für immer.
Hastig riss er die Schranktüre auf, aus Mappen und Schachteln quollen Abzüge, Negative, Rohkopien, Doppelbilder, unbenutztes Fotopapier, Probestreifen, Filmrollen, mit beiden Händen schob er alles beiseite, bis er den Ordner mit der Aufschrift „Originale“ fand.