Früher hatten Archivare ein anderes Selbstbewusstsein. So schrieb Rudolf Wackernagel, baselstädtischer Staatsarchivar, am Weihnachtsabend 1909 in einem Brief: «Ich bin jetzt staatlicher Historiograph der Republik, es ist ein Luxus, den sich unsere Stadt leisten darf, und dass ich es dazu brachte, ist eine der grossen Taten meines Lebens. […] Mich hat Gott nach Basel gestellt und nur als Antrieb und Überfluss die Sehnsucht nach einer andern schönern und grössern Erde gegeben, nicht deren Besitz selbst. An diesem meinem Posten will ich tun, was ich mit allen meinen Kräften vermag und bin dankbar, es dabei zu etwas gebracht und mit meinem Archiv und meinem Buch Dinge geschaffen zu haben, die Basel Ehre bringen.» Städtische Geschichte zu schreiben galt Wackernagel offensichtlich als Krönung des Archivarendaseins.
Neues Motto
Ein solches Selbstverständnis ist inzwischen Geschichte. Gut 100 Jahre später tönt die Herausforderung anders: «Archivists must be the taxi drivers of knowledge, directing people to interesting and innovative places they might like to see», hiess es 2011 in einem Twitter-Beitrag der Archives & Records Association, der führenden Berufsorganisation von Archivaren in England. Ein Motto, das der Schreibende dieses Artikels, Abteilungsleiter Kommunikation und Vermittlung im Staatsarchiv Basel-Stadt, an seine Bürowand gepinnt hat. Denn es bringt unmittelbar auf den Punkt, worin heute die Aufgabe von Archiven – ob firmenintern, privat oder öffentlich organisiert – für die Geschichtsschreibung besteht. Archive sind nicht einfach Endstation für Dokumente, im Gegenteil; sie erschaffen durch Bestandesbildung aktiv die Grundlagen für die Forschung. Und: Archive sind nicht der Ort, wo Geschichte sozusagen von Amtes wegen (fest)geschrieben wird. Sie ermöglichen vielmehr Geschichtsschreibung, indem sie für die Forschung die Zugänglichkeit zu historischen Quellen sicher stellen. Das geht weit über Konservierung, Katalogisierung, Lesesaalberatung und Holdienst hinaus. Archivmitarbeitende sind heute Taxifahrer: Das Archiv führt die Gesellschaft zur Geschichte, macht Vorschläge, weist auf Besonderheiten hin, befördert Kunden ans Ziel.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus einem längeren Artikel (Taxidienste für Basels Geschichte: zur Rolle von Archiven für die Regionalgeschichtsschreibung, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 112 (2012), S. 33-42).