www.Geschichte im Cyberspace

Anmerkungen zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und Internet

www. Das Angebot an Internet-Information wächst wie wild. Dass die Forschungsstelle Baselbieter Geschichte hier mithält, hat gute Gründe. Die langjährige Forschungsphase ist abgeschlossen und jetzt beginnt die Schlussrunde: das eigentliche Schreiben der Geschichte. Auch wenn der Zeitpunkt der Veröffentlichung, das Jahr 2001, noch weit weg scheint – bereits jetzt gilt es, Präsenz zu markieren. Eine Homepage aufzumachen ist PR (Public Relation), also Öffentlichkeitsarbeit im besten Sinne des Wortes. Wer im Internet eine Stimme hat, wird potentiell von mehr und anderen Menschen wahrgenommen als bei einem konventionellen Auftritt in der Presse. Das Internet stellt eine neue Form kommunikativer Öffentlichkeit dar. Aber ob sie andere Foren wie die Presse oder das Radio wirklich verdrängen kann und wird? Die Forschungsstelle jedenfalls hält an ihrem Ziel fest, die Geschichte(n) des Baselbiets primär in Buchform zu vermitteln und nicht als Website.

 

www. Wunderbar, wahrhaftig und wortkarg. Ob Heimatmuseum Hitzacker oder Historisches Seminar Basel, Selbstdarstellungen von Institutionen gibt es unzählige im Cyberspace. Selten findet man dort allerdings viel mehr als eine Auflistung von Aufgabenbereich, Öffnungszeiten, Personalbestand. Zugriff auf Geschichte an sich gibt es allenfalls in Form archivalischer oder genealogischer Datenbanken. Es bleibt abzuwarten, ob das Historische Lexikon der Schweiz (www.dhs.ch) nun wirklich ausschliesslich als Internet-Version erstellt wird. Auf CD-ROM gepresst werden historische Themen schon länger, im Internet dominiert vorläufig historisches Wissen in Form von „Katalogen“. Das hat handfeste Gründe: Geschichte rentiert eher, wenn man sie auf CD-ROM verkaufen kann. Und bei derartigen Datenmengen, wie sie für attraktive CD-ROMs gebraucht werden, würde die Übertragungskapazität des Computernetzwerks überschritten. Doch auch wenn in Zukunft Geschichte mit Kurzfilmen und Animationen aufbereitet, zum spielerischen Entdecken einladend online am Bildschirm abgerufen werden kann – zum Lesen, zum linearen Begreifen und Reflektieren taugt das neue Medium nicht.

 

Tücken des Mediums

 

www. Wie wenig das Web mit den herkömmlichen Medien gemeinsam hat, wird Benutzerinnen und Benutzern bald klar. Im Internet gibt das Bild den Ton an, Text wird zur sekundären Informationsquelle. Es gibt ja auch kaum etwas Lese-Unfreundlicheres als einen Bild-Schirm. Der audiovisuelle Imperativ hat Folgen. So dauert der Zugriff auf eine Bildschirmseite um so länger, je komplexer die graphische Gestaltung ist, je mehr Bildmaterial digital aufbereitet werden muss. Reine Textbeiträge brauchen zwar geringere Zeit zum Aufbau, erfreuen das Auge aber auch weniger. Zudem beansprucht das Lesen von Text Zeit, und die ist im Internet eine knappe Ware. Es braucht ja nur einen Mausklick und schon ist man aus der langfädigen Geschichte weggesurft in die bunte Zukunft. Wer also Geschichte erzählen will, muss neue narrative Techniken finden, um die stets fluchtbereiten Surfer und Surferinnen in seinem Hafen halten zu können. Die Dominanz des Visuellen könnte Historiker und Historikerinnen dazu animieren, die historische Bildhaftigkeit der Welt vorzuführen. Die Homepage der Forschungsstelle selbst ist noch angelegt als Informations-Dienstleistung, ohne aufwendige Graphiken oder interaktive Elemente. Vorläufig entspricht sie einer gedruckten Broschüre – doch das muss nicht so bleiben.

 

www. Wo war sie schon wieder, diese Website über mittelalterlichen Rebbau? Es gehört zur Regel, dass die Adresse einer Website hin und wieder ändert oder gar die ganze Website zu existieren aufhört. Und dann meldet der Bildschirm lapidar „File not found“ (gesuchte Datei nicht gefunden). Mit der Website der Forschungsstelle kann das zwar nicht passieren. Denn die Landeskanzlei, die den Server betreut, garantiert für die Kontinuität und Wiederauffindbarkeit des Angebots. Die virtuelle Welt des Internets hat aber an sich kein Gedächtnis, kein nachgeführtes Adressbuch oder gar ein Archiv. Was nicht mehr interessiert und rentiert, verschwindet spurlos. Es scheint auch widersinnig, im grenzenlosen Cyberspace ein zentrales Gedächtnis zu betreiben, die Abermillionen von ständig sich erneuernden Informationsangeboten zu erfassen und zu archivieren wollen. Zwar hat sich eine amerikanische Firma genau dies zur Aufgabe gemacht (www.alexa.com). Doch das Mehr an Information bleibt im Grunde ein Weniger an Geschichte, denn die steigende Datenflut paralysiert letztlich jedes Archiv. Vielleicht entwickelt sich aus dieser Situation heraus eine neue kulturelle Form des Erinnerns, eine Rhetorik des Internets? Jedenfalls funktioniert die Logik heutiger Suchprogramme anders als die bisherigen begrifflichen Kategorisierungen, wie sie aus Repertorien bekannt sind. Statt nach übergeordneten, deduktiv angelegten Begriffshierarchien durchrast die Computersoftware den Gesamttext aller Websiten nach Einzelworten und zugeordneten Synonymen. Im Netz herrscht die Logik der Assoziation.

 

Netzwerke

 

www. Für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erfüllt das Web alte Wünsche. Denn das Internet ist in erster Linie ein hervorragendes Kommunikationsmedium. Wer früher Manuskriptberge zwischen Stanford und Basel hin und her schickte, befördert heute seine Textdateien innert Minutenfrist entlang unsichtbarer Wellen. Noch immer muss man die Bücher selbst lesen, doch vom eigenen Pult aus lässt sich bequem in den Katalogen der weltgrössten Bibliotheken stöbern. In nicht zu ferner Zukunft existieren vielleicht auch Dissertationen, Lizentiats- und Seminararbeiten nur noch in elektronischer Ausführung. Gelöst wäre so das Problem der langen Druckfristen und der zuweilen exotischen Standorte. Um so grösser wird dann allerdings die Frage nach dem Urheberrecht und der Qualitätskontrolle. Ein weiterer Vorteil des Mediums: Per E-Mail kann mit jeder beliebigen Person, die ebenfalls über einen Anschluss verfügt, schnell und informell Kontakt aufgenommen werden. Nicht umsonst spricht man vom „Netz“: Die Metapher entspricht auch der kommunikativen Realität. Die Kommunikation verläuft nicht mehr hierarchisch. Bei einer Internet-Debatte, wie sie unlängst zum Thema „Neue Kulturgeschichte“ durchgeführt wurde, sinkt die Hemmschwelle für Wortmeldungen erheblich. Zwar entfällt mit dieser neuen Form der Diskussion auch etwas von der – durchaus fruchtbaren – Reibung zwischen den Teilnehmenden, wie Alf Lüdtke kritisch anmerkte. Zwischenrufer sind Ausnahmefälle, statt der gewohnten Streitkultur scheint sich eine Assoziationskultur zu entwickeln. Das hat nicht unbedingt mit einem Wandel akademischer Mentalität zu tun, sondern ist eine Konsequenz der Schreib-Technik des Mediums Internet.

 

www. Was für die Schreibmaschine galt, ist auch wahr für die neue Welt der computergestützten Textproduktion. Technik vereinfacht und beschleunigt das Schreiben, ersetzt das Denken aber nicht. Dennoch könnte das Internet längerfristig kognitive und literarische Prozesse verändern. Einerseits wird heute eine per E-Mail empfangene Meldung nicht mehr einfach mit Randnotizen versehen und zurückgeschickt. Die elektronische Textverarbeitung erlaubt (und provoziert) es, den ursprünglichen Text gleich umzuschreiben, aufzubrechen, umzugestalten. So entsteht keine Korrespondenz im gewohnten Sinne, wo sich Argument und Gegenargument folgen, sondern ein Palimpsest. Jeder „Brief“ ist nun eine Variation des vorangehenden. Entscheidender ist aber die Strategie des „Links“. Ein Link ist eine beliebige Stelle in einem Internetdokument (Text oder Bild), die mit einem Befehl verbunden wird. Wer mit der Maus auf so eine Passage, meist ein farblich hervorgehobenes Wort, klickt, wird dann automatisch mit der im Befehl programmierten „Adresse“ verbunden und landet auf einer anderen Website oder Homepage. Ein Link ist mehr als ein Verweis, wie ihn das Lexikon kennt: er ist zugleich das Transportmittel. So verschwindet die lineare Struktur des gedruckten Mediums und macht einer netzartigen Fortbewegung Platz. Websites werden angelegt als Inhaltsverzeichnisse, ermuntern geradezu zum Seitwärts-Blättern. Das Bild vom Surfen erhält dadurch eine doppelte Bedeutung. Es ist nicht nur das Gleiten auf der (elektronischen) Welle, es ist auch Sinnbild für rasches und berührungsfreies Sich-Bewegen. Das Internet ist kein Medium für Tiefseetaucher.


Dieser Text wurde erstmals publiziert in: Geschichte 2001. Mitteilungen der Forschungsstelle Baselbieter Geschichte